Jacqueline Diffring

Eva Fischer-Hausdorf
Intuition und Wandlung in Jacqueline Diffrings Werk

Die Skulpturen der 1920 geborenen Bildhauerin Jacqueline Diffring sind unmittelbarer Ausdruck ihrer inneren Ideenwelt. Ohne jede formal-konzeptuelle Planung entstehen die zwischen Figuration und Abstraktion changierenden Werke als spontane Eingebungen zu einem thematischen Aspekt oder Gedanken, der die Künstlerin fasziniert. Ihr künstlerisches Vorgehen basiert ganz auf der Auseinandersetzung mit dem Gedankenspiel, für das Diffring einen Ausdruck in der Skulptur sucht. Im ungeplanten, kreativen Schöpfungsprozess überträgt sie ihre freien Assoziationen direkt in das leicht formbare Arbeitsmaterial Ton. Die so plastisch konkretisierten Ideen lässt sie abschließend in Bronze gießen und verleiht den Skulpturen dadurch einen überdauernden und allgemeingültigen Charakter.

Mit diesem spontanen Schöpfungsprozess hat Jacqueline Diffring einen für die Bildhauerkunst ungewöhnlichen Weg eingeschlagen. Sie lässt sich ganz auf die Begegnung mit ihrer Intuition ein und kreiert dabei Skulpturen, die von Offenheit, Veränderbarkeit und Variation geprägt sind. Diffring arbeitet dabei abseits des herkömmlichen von Starre und Unveränderbarkeit geprägten Charakters der Bildhauerkunst und versteht auch ihre in Bronze gegossenen Skulpturen als variable Dialogpartner.


Edition: Jazz,
2013, Bronze, 2/15
13 x 20 x 10 cm,
Gießerei Noack, Berlin

Supprimer les pensées statiques
(Statische Gedanken abstoßen)
2011, Bronze, 1/8
27 x 42 x 19 cm
Gießerei Noack, Berlin

Supprimer les pensées statiques
(Statische Gedanken abstoßen)
2011, Bronze, 1/8
34 x 50 x 21 cm
Gießerei Noack, Berlin

Interview mit Jacqueline Diffring
Mein Werk: es ist fast wie eine Autobiographie

Eva Fischer-Hausdorf

Das Gespräch, das hier in Auszügen wiedergegeben wird, wurde am 1. Februar 2014 in Berlin geführt und aufgezeichnet.

Eva Fischer-Hausdorf: Ich möchte unser Gespräch beginnen mit einem Blick zurück auf Ihre künstlerische Ausbildung. 1937 studierten Sie Kunst an der Reimann-Schule in Berlin, nach Ihrer Emigration nach England absolvierten Sie die Kunstausbildung am Technical College in Cambridge und studierten Bildhauerei an der Chelsea School of Art in London. Könnten Sie kurz beschreiben, wie Sie die Ausbildung dort in Erinnerung haben?

Jacqueline Diffring: Es war sehr traditionell, Aktzeichnen etc. Aktzeichnen hatten wir schon in der Reimann-Schule. In London war ich dann in der Sculpture Section und habe also wenig painting gemacht. Drawing ja, aber keine Malerei.

EFH: Würden Sie sagen, dass die Malerei Sie zu diesem Zeitpunkt nichtgereizt hat?

JD: Nein, ich glaube, dass es einfach in dem Bildhauer-Kurs nicht vorgesehen war. Denn ich war ja in der Sculpture Section und die Malerei hatte damit nichts zu tun.

EFH: Und Ihre Entscheidung, in die Sculpture Section zu gehen...

JD: ... die habe ich schon früh getroffen.

EFH: Wie kam es zu dieser Entscheidung?

JD: Wahrscheinlich forme ich gerne etwas mit den Händen. Das kann sein. Und ich habe auch nie so eine Beziehung gehabt zur Malerei. Zur Zeichnung wohl, aber nicht zu der Malerei. Farben sind für mich nicht so interessant... Das letzte Bild habe ich vor etwa vier Jahren gemalt. Aber ich bin nicht passioniert. Farben sind für mich ein bisschen schwierig.

EFH: Das Interesse für Formen, Körper dominiert.

JD: Ja. Aber nicht so wie bei Henry Moore zum Beispiel. Er ist, würde ich sagen, immer sensuell. Das ist bei mir überhaupt nicht der Fall.

EFH: Wo haben Sie den Eindruck, dass Moore Sie beeinflusst hat, und wo sehen Sie die entscheidenden Unterschiede?

EFH: Zuvor sprachen wir schon davon, dass Sie Ihre Figuren immer in monumentalen Dimensionen sehen.

JD: Außerdem hat Moore auch so etwas Architekturales. Und das ist bei mir noch drin, glaube ich. Seine Themen haben mich wiederum nicht so beeinflusst. Er macht ja viele nudes, arbeitet mit dem Körper. Die sind ja alle sehr sensuell, die Formen sind sensuell. Das ist es bei mir nicht. Überhaupt arbeiten wir vollkommen anders. Er machte, ich weiß nicht wie viele sketches, bevor er anfing. Und dann hatte er eine ziemlich gute Ahnung davon, wie er es macht. Und das ist eben bei mir nicht der Fall. Ich fange bei Zero an. Ich weiß oft nicht, wie es endet, wie es aussieht am Ende. Wie es aussehen soll. Davon habe ich keine Ahnung.

EFH: Sie machen ganz bewusst keine Vorzeichnungen. Statt von einer formalen oder räumlichen Fragestellung auszugehen, ist Ihr Ausgangspunkt immer ein bestimmtes Thema.

JD: Das Thema bezieht sich meistens auf Erlebtes. Ich habe jetzt schon ein gewisses Alter und habe bereits verschiedene Arten zu Sehen kennengelernt. Und auch verschiedene Themen, die ich sehr intensiv fühle.

EFH: Ausgehend von Ihrem Thema oder Erlebnis, das Sie ausdrücken möchten, bearbeiten Sie ohne jede konzeptuelle Vorarbeit den Ton. Wie dürfen wir uns Ihr Vorgehen genau vorstellen?

JD: Es kommt darauf an. Ich überlege zunächst: Die Idee, ist sie etwas aufrechtes, positives oder etwas negatives? Und das ist schon der Ausgangspunkt. Hoch, schlank oder breit? Das ist einfach eine Form. Das ist der Ausgangspunkt. Habe ich ein positives Gefühl dafür oder ein negatives Gefühl?

EFH: Das gibt Ihnen die Ausrichtung vor.

JD: Und wenn ich dann eine gewisse Form habe oder einen Block oder mehrere Formen, entweder kommen die dann zusammen oder nicht. Dann arbeite ich einfach, wie gesagt, danach, ob es positiv oder negativ für mich ist.

EFH: Das heißt, dass Sie kein formales Konzept vorher etwa durch Vorzeichnungen entwickeln, sondern Sie arbeiten vielmehr über Ihre Emotion, die Sie bei dem betreffenden Thema empfinden...

JD: Absolut.

EFH: ... und lassen das Ganze durch ihre Hand in den Ton hineinfließen.

JD: Ja. Und bei Moore habe ich immer das Gefühl, dass, wenn das Werk einen Titel hat, dass dieser erst nach der Entstehung gegeben wurde. Aber zuvor war die Form das wichtige für ihn.

EFH: Während Moore von einem formalen Konzept ausgeht, stehen bei Ihnen Idee und Gefühl im Vordergrund, die Sie in Ihr Werk übersetzen und es so formen.

JD: Ich übersetze natürlich in Form, aber, wohin es geht, sehe ich zunächst nicht genau. Es entwickelt sich, während ich arbeite.

EFH: Wenn man sich Ihre Arbeit aus den späten 1970er und 1980er Jahren anschaut, wie die in der Ausstellung gezeigte Figure assise (Kat. S.79), Allongée (Kat. S.76, 77) oder Couple (Kat. S.78), wird deutlich, dass hier ein starkes Interesse für die mensch liche Figur zum Ausdruck kommt.

JD: Ich würde sagen, diese Figuren unterscheiden sich auch allein dadurch von den späteren, dass ich zum Zeitpunkt der Entstehung einfach noch jünger war.

EFH: Wie würden Sie den künstlerischen Wandel im Laufe Ihres Schaffens beschreiben?

JD: Ich nehme es nicht als Veränderung wahr. Ich würde sagen, dass geradezu automatisch, wie ich älter wurde, andere Ideen kamen und andere Interessen kamen und so hat sich alles anders entwickelt. Ich habe mich also nicht besonders getrennt von einer figürlichen Auffassung, weil ich etwa abstrakt arbeiten wollte. Gar nicht. Das hat sich geändert, weil ich mich geändert habe, weil meine Ideen anders wurden, oder weitere dazu kamen.


art KARLSRUHE: Skulpturenplatz
Einzelausstellung Jacqueline Diffring
März 2014

EFH: Für mich wird deutlich, dass Sie sich zunächst mit traditionellen Bildhauerthemen auseinander gesetzt haben...

JD: Ja, absolut.

EFH: ... und in den späteren Werken tritt dann Ihre Auseinandersetzung mit Ideen in den Vordergrund, wie in Recherche sur un équilibre latent (Kat. S. 72-75) oder Signes d’ombre (Kat. S. 68/69).

JD: Ja. Die Idee war schon das Wichtigste. Aber nicht unbedingt skulpturelle Fragen. Deshalb habe ich auch vorher nie gezeichnet. Das habe ich eigentlich nie gemacht. Wenn ich gezeichnet habe, dann habe ich es nachher gemacht. Auch bei frühen Arbeiten wie Couple (Kat. S. 78) nicht.

EFH: Es ist Ihnen wichtig festzuhalten, dass alle Ihre Zeichnungen nach Fertigstellung der Skulptur entstehen. Die Zeichnungen sind somit eigenständige Werke, in denen Sie ganz andere künstlerische Wege gehen können. Das Interessante ist zum Beispiel, dass Sie in der Zeichnung von der Skulptur nur eine Ansicht festhalten...

JD: Ja.

EFH: ...und darin zeigt sich ja ein wesentlicher Unterschied zur Skulptur, die man von allen Seiten betrachten kann, aus verschiedenen Perspektiven. Ihre Zeichnungen sind im Gegensatz dazu einer Momentaufnahme vergleichbar.

JD: Absolut. Bei den Zeichnungen ist mir die Linie sehr wichtig. Das ist etwas Architekturales, was mich daran interessiert.

EFH: Ihre Zeichnungen, die ganz auf die Linie, auf den Umriss konzentriert sind, stehen dadurch auch in einem großen Spannungsverhältnis zu Ihren Skulpturen, die ja eine starke körperliche Präsenz haben.

JD: Meine Skulpturen haben ja keine „Schauseite“. Es sollte auch keine geben. Bei mir gibt es wirklich keine, denn ich drehe die Skulpturen ja dauernd bei der Arbeit. Das ist das wunderbare bei Ton, dass man das machen kann.

Und das ist auch das Faszinierende für mich, während ich arbeite, dass ich da andauernd verwandle. Hier zeigt sich wieder wie anders ich arbeite, als Moore gearbeitet hat. Ihn hat etwas anderes fasziniert. Ihn hat praktisch nur die Form interessiert. Aber, was man mit der Form machen kann, mit den Gedanken, mit dem Umwandeln usw., ich glaube nicht, dass ihn das interessiert hat. Und das ist mein Hauptinteresse.

EFH: Dadurch, dass Ihre Skulpturen von einem Gedanken, einer Emotion her angestoßen sind, bleiben sie sehr lebendig. Sie bleiben auch dadurch lebendig, dass Sie gleichzeitig auch die Mehransichtigkeit interessiert, die Möglichkeit, die Skulpturen aus verschiedenen Winkeln anzuschauen, sie zu drehen. Man kann mit Ihren Skulpturen in einen Dialog treten.

JD: Ja, das kann sein, ja.

EFH: Dieser Aspekt der Lebendigkeit ist gerade dadurch besonders spannend, weil Ihre Skulpturen nicht etwa fragil, sonder ausgesprochen stabil und bodenständig wirken.

JD: Meiner Ansicht nach hat das mit den Themen zu tun, die ich gewählt habe. Das sind Themen, die ich intensiv gespürt habe und immer noch spüre. Und das ist das, was steht...

EFH: ... und was bleiben soll?

JD: Ja. Deswegen sage ich über mein Werk: es ist fast wie eine Autobiographie. Das sind meine Themen zu verschiedenen Zeiten, zu verschiedenen Altersstufen, verschiedenen Erlebnissen...

EFH: Und trotzdem bleiben Ihre Titel wie Innere Spaltung (Kat. S. 24/25) oder Das Innere Auge (Kat. S. 70) in einer Art allgemeingültig, dass jeder Betrachter etwas damit anfangen kann. Ihre Werke haben etwas sehr Persönliches und Biographisches und doch kann sich jeder Betrachter mit seinen eigenen Erfahrungen darauf einlassen.

JD: Ja, sicher. Und deshalb finde ich es wichtig, dass die Titel der Skulpturen angegeben sind.

EFH: Wenn wir noch einmal auf die Mehransichtigkeit Ihrer Werke zu sprechen kommen: besonders spannend sind in dieser Hinsicht die mehrteiligen Skulpturen wie Recherche sur un équilibre latent (Kat. S. 72-75). Hier lassen Sie offen, in welcher Position die drei Teile zueinander stehen.

JD: Ja, natürlich.

EFH: Daraus spricht ja auch ein großes Selbstbewusstsein, dass sie als Künstlerin ihrem Werk gegenüber zeigen. Sie lassen eine große Freiheit zu, dass jeder, der es möchte, die Werke nach seiner Vorstellung positioniert. Das ist ja etwas, das Sie dann aus der Hand geben. Sie diktieren damit keine definitive Festlegung. Das Werk ist offen, es darf sich bewegen und verändern.

JD: Ja, weil es ja in meinem Kopf, in meinen Gedanken in vielerlei Positionen existiert. Weil viele Variationen möglich sind. Aber das muss ich erst einmal auch genauso interessant sehen, diese Möglichkeiten, die da sind. Diese vielen Variationen, die sind dann das Interessante dabei.

EFH: Die Ausstellung im »KunstKabinettImTurm« wird neben einer Auswahl von zentralen Werken aus den späten 1970er und frühen 1980er Jahren auch bedeutende Arbeiten aus der jüngsten Zeit präsentieren. Was erwarten Sie persönlich von der Ausstellung?

JD: Ich denke, dass man sehr gut erkennen wird, wie wichtig mir die verschiedenen Möglichkeiten und die Variationen über meine Themen sind. Ich freue mich sehr auf die Ausstellung.

EFH: Liebe Jacqueline Diffring, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.

Zeichnungen, Papier/Pergament, 2013
S29,7 x 21 cm / 21 x 29,7 cm
Zeichnungen, Papier/Pergament, 2013
S29,7 x 21 cm / 21 x 29,7 cm
Petite Idole (Kleines Idol)
S1991, Bronze, 1/8
24 x 19 x 10,5 cm
Gießerei De la Plaine, Paris
Petite Idole (Kleines Idol)
S1991, Bronze, 2/8
23 x 22,5 x 7 cm
Gießerei De la Plaine, Paris

Recherche sur un équilibre latent
(Suche nach einem latenten Gleichgewicht)
1986, Bronze, 1/6
13 x 9,5 x 15,5 cm + 24,5 x 13 x 12 cm + 14 x 22 x 10 cm
Gießerei Tommasi, Pietrasanta

Recherche sur un équilibre latent
(Suche nach einem latenten Gleichgewicht)
1986, Bronze, 2/6
22,5 x 16 x 12 cm + 18,5 x 23 x 23 cm + 14 x 25 x 14 cm
Gießerei Noack, Berlin

Biografie Jacqueline Diffring

1920 in Koblenz geboren, studierte sie 1937 Kunst an der legendären Reimann-Schule in Berlin. Aufgrund schwerwiegender Repressalien der Nationalsozialisten musste sie Deutschland verlassen und emigrierte 1939 nach England. Sie nahm die britische Staatsbürgerschaft an und absolvierte 1946 die Kunstausbildung am Technical College in Cambridge.

Zwei weitere Jahre studierte sie Bildhauerei an der Chelsea School of Art in London. Sie studierte bei Wilhelm Josef Soukop und F. E. McWilliam. Ihr wichtigster Lehrer aber war Henry Moore. Nach Beendigung ihrer Ausbildung studierte sie an der London University und unterrichtete an der Wisbech Highschool.

Seit Anfang der 60er Jahre lebt und arbeitet Jacqueline Diffring in Frankreich.

Seit den 80er Jahren werden ihre Werke in internationalen Galerien, Museen und auf Kunstmessen präsentiert.

2007 gründete sie die Jacqueline Diffring Foundation in Berlin, eine gemeinnützige Stiftung für Kunst und Kultur.

„Die Vergangenheit nicht leugnen,
die Gegenwart leben“.
Jacqueline Diffring