Franz Bernhard

 

Eine eigene Sprache des Skulpturalen

Im Blick auf das gegenwärtige Kunstleben stellt Franz Bernhards Arbeit einen klar umrissenen Faktor dar. Die zu eindrucksvoller Breite gediehene, jahrzehntelang bruchlos fortgeführte Produktivität, Skulpturen, Zeichnungen und druckgraphische Arbeiten mit grosser Geschlossenheit zusammenfügend, ist aus dem Bewusstsein aller Kunstfreunde nicht zu tilgen. Nicht allein die Teilnahme am allgemeinen Ausstellungsleben oder die Verwirklichung zahlreicher Projekte im öffentlichen Raum haben die Vertrautheit mit seinem Oeuvre befestigt, sondern ausführliche Darstellungen in der Gestalt sektorenhafter Werkverzeichnisse bewirkten, dass man sich der Strukturen seines Werkes bewusst wurde. Unabweisbar ist in diesem Zusammenhang die Einsicht, dass der Bildhauer die früh gefundene Basis seiner Arbeit nie verlassen hat, dass sie erstaunlicherweise in der betonten Simplizität erster Resultate Voraussetzungen barg für eine im Erscheinungsbild einfache, aber sehr differenzierbare plastische Sprache.


Die beiden unmittelbar ins Auge fallenden Charakterzüge seiner Skulpturen: archaisierende Kargheit und kernhafte Figuration sind viel beschrieben worden. Darüber hinaus gibt es weitere, durchgehend wirksame Eigenschaften, die vor allem beim mählichen Erarbeiten jeder Form zum Ausdruck kommen. In den monumentalen Endresultaten treten sie notwendigerweise zurück, aber dabei sind dann grosse, ausführende Werkstätten beteiligt, die dem in vielen, beharrlich vorgetriebenen Einzelmotiven des vorgegebenen Modells eine Grossform vereinfachenden Ausdrucks verpassen. Es ist im Erleben solcher öffentlich plazierter Monumente immer unerlässlich, auf das Modell zurückzukommen, will man der vielen im Erscheinungsbild verborgenen oder in der ausladenden Endform zusammengefassten Einzelmotive innewerden. Auch wenn dies angesichts chronologischer Übersichten nicht sinnfällig sein sollte, gilt auch für Franz Bernhards Werk, dass die Schlichtheit der Erscheinung Ergebnis bewusster Vereinfachung vielfältiger Ansätze ist. Gewicht und Volumen gestatten bei ihm die Einarbeitung zahlreicher Details, vor allem, wenn er für seine jeweilige Arbeit Innenräume im Auge hat. Da eröffnen sich für die beiden Komponenten Holz und Metall unbegrenzte Möglichkeiten der Kombination, wobei Holz als Volumen, Metall als Gehäuse auftritt. Beide als gleichwertige Komponenten, jedoch wesenhaft von sehr verschiedener Expression. Metall jedenfalls auf flächenhaften Teilen hohl gebildet und nur in den Endungen ausgeschmiedet, Holz indessen aus den verschiedensten Lagen, Volumen und Querschnitten aufgebaut zum zusammenhängenden Volumen, das in metallene Höhlungen eingefügt oder offen mit metallenen Körpern verbunden wird. Immer haftet den Verbindungen eine gewollte, aus der Verschiedenheit der Materialgewichte resultierende Verschiebung der Balance an. Viele Werke Franz Bernhards demonstrieren eine Art Ungleichgewicht geradezu, zum Beispiel, wenn robuste Metallkörper an eher zarte Holzglieder gebunden sind. Gelenkstellen sind nie massiv, eher fragil; sie zeigen selten eine selbstverständliche Belastbarkeit.

Im Hof von Lucia und Franz Bernhard, Jockrim, 2007

Werke von Franz Bernhard

WV 416, Stehende Figur, Sigmaringen, 2002, Cortenstahl, 720 x 550 x 250 cm

WV 328, Großer Kopf, 1992, Cortenstahl,

400 x 230 x 410 cm, Deutsche Botschaft Moskau

WV 453, Großer Kopf, schwebend, 2007, Cortenstahl, 416 x 415 x 230 cm

vor der Pfalzgalerie Kaiserslautern

WV 408, Heilbronner Kopf C, 2001, Cortenstahl,

520 x 200 x 320 cm, Heilbronn, Friedrich-Ebert-Brücke

WV 420, Maquette Heilbronner Kopf C, 2003, Bronze, 52 x 20 x 32 cm, Auflage: 1-9 + I-II

... Franz Bernhard ist Bildhauer und Zeichner, seine Plastiken und Zeichnungen hängen eng miteinander zusammen, ohne dass sie aufeinander angewiesen oder nur durch einander verstehbar wären. Allenfalls so, dass die Zeichnungen Mittel zur Selbstverständigung auch in plastischer Absicht werden, Suche nach gültigen Zeichen. Sie sind Entwurf und Vollendung. Sie sind ein bewegtes Zwischen, hin- und hergehend und sich in der Schwebe haltend. Einige scheinen auf dem Sprung ins Plastische und mit den Händen Greifbare zu sein. Als wenn nur noch ein Hauch fehlte, um das Bild zu verstofflichen.

                                                                           Erich Thies

B-6-79, Zeichnung, 1979, 45 x 62,5 cm

B-6-99, Zeichnung, 1999, 44,5 x 61,7 cm

B-1-03, Collage, 2003, 32 x 38,5 cm

E-12-02, Collage, 2002, 32,7 x 38,6 cm

WV 489, Gestürztes Kreuz, 2010, Holz, Eisen, 31 x 67 x 28 cm

WV 451, Büste 06, 2006, Ferroguss, Holz, 29,5 x 24 x 21 cm

Auflage: 1/9 - 9/9

WV 449, Maquette S (Sigmaringen), 2006, Bronze, 70 x 55 x 20 cm, Auflage: 1/5 - 5/5

WV 350, Maquette Kopf Moskau, 1994, Bronze, 37 x 22 x 40 cm, Auflage: 1/7 - 7/7

Überhaupt ist das In-sich-Ruhen, eine gewohnte Eigenschaft schwerer skulpturaler Volumina, nicht seine Sache. Das wäre vermutlich anders, wenn er sich mit Masse, Gewicht und Kontur zufrieden gäbe. Die von der Figuration abgelöste Skulptur lebt ja von dieser Dreiheit. Er hingegen demonstriert Figuration ausdrücklich. Ohne Kopf, Rumpf und Extremitäten würde man seine Werke missverstehen. Sie sind Gestalten im Wortsinn, und ihre Gesten sind keine rudimentären Reflexionen von Wirklichkeit, sondern vielmehr vitale Wesenheiten. Dabei vermeiden sie die Züge herrischer Okkupation des Raums, in den sie gestellt sind. Sie besetzen ihn vielmehr mit zurückhaltender, beinahe zögerlicher Nachdrücklichkeit. Das Erscheinungsbild enthält jeweils zwei Komponenten. Die eine betrifft das auf dem Grunde Aufliegende, die tragende Kraft, den ruhenden Pol des Gebildes. Von ihm steigen Glieder auf. Sie sind empor gereckt, vom Boden mit Spannung abgehoben, unter Aufbietung von Kraft in einer Schwebe gehalten, die der Ponderation widerspricht. Diese zweite Komponente bindet den Blick des Betrachters, wird auch auf die Dauer das Interesse und die Teilnahme des Passanten aktivieren. Gleiches gilt für die vielen Skulpturen intimer Abmessungen im privaten Bereich. Auch sie tragen übrigens die Disposition zur Grossform in sich. Einer der Wesenzüge von Bernhards Arbeit spricht aus der Ambivalenz von Intimität und Monumentalität, Zurückhaltung und Nachdruck. Nie ist nur das Eine eingesetzt. Auch in der mächtigsten Abmessung auf grossem Terrain bleibt ein Zug von Scheu, Distanz, Abstand. Die Okkupation der Szenerie geschieht gewissermaßen mit einem stillen Vorbehalt.


Bernhards adäquates Metall ist das Eisen. In der Grossform der beinahe nahtlos erscheinende Cortenstahl mit gleichmäßiger Epidermis, im Kleineren, handgeschweissten und geschmiedeten Werkstück innerhalb der eigenen Werkstattwände das harte, dickwandige Eisenblech, das, bevor es seine Endform erreicht, einer langen Strecke von Bearbeitungsschritten unterworfen wird. Dem Tastsinn und dem manuellen Begreifen wird kein Anreiz geboten, aber es ist förderlich, dem einzelnen Detail nachzufühlen. Dabei zeigt sich, dass die zum Körper gefügten Flächenteile nichts Uniformes an sich haben. Die Narbigkeit des einen fügt sich zur Glätte des anderen. Spuren der Oberflächenbearbeitung stehen neben belassenen Texturen. Ein Zentrum der Expression aber bilden die Schweissnähte in ihrer unerschöpflich abwandelbaren Vielgestaltigkeit. Nirgendwo ist Perfektion, aber ebensowenig gibt es eine Attitüde spielerischer oder lässiger Unvollkommenheit. Das Werkstück atmet Redlichkeit. Es gilt, dem konzipierten Körper das optimale Volumen zu geben aus Flächenelementen und Konturen.

Oft finden sich an den Endpunkten offene Fugen und Nahtstellen, die den Entstehungsprozess in seiner von der Perfektion abgewandten Arbeitsweise verdeutlichen. Eine besondere Zone bietet die Verbindung zum Holz. Ist der Metallteil einer Skulptur kompakt - nicht nur durch sein Übergewicht -, so tritt ihm in den hölzernen Entsprechungen ein durchaus nachgiebiges Gegengewicht an die Seite. Die Entsprechung ist wörtlich, denn weder könnte das Eine noch das Andere für sich allein einstehen (eine Reihe sehr früher, ausschließlich aus Holzteilen verfertigter Arbeiten ausgeklammert), noch kommt es auf ein Gleichgewicht der beiden Werkstoffe an. Charakteristisch ist dafür der Umstand, dass nicht schwere Harthölzer, sondern leichte, nachgiebige Nadelhölzer Verwendung finden. Und auch sie sind vielfach in der Kompaktheit gemindert durch ein mähliches Zusammenbringen aus Profilen von Balken, Brettern, Latten und Spänen zu einem zusammenhängenden Körper. Er ist nicht homogen, kaschiert seine Verfertigungsweise nicht, führt vielmehr seine unperfekte Erscheinung vor Augen. Die Oberfläche setzt sich aus lauter sichtbar gelassenen Segmenten zusammen. Sie bündeln Maserungen, Nähte, Endungen und Kanten aller Art. Die Verbindung zur metallenen Fassung ist vielgestaltig. Immer ist sie ein gewissermaßen untergeordnetes Einfügen, Anfügen, Anbinden, wobei die aufnehmende metallene Schalenform sich so schlicht dem Holz verbindet wie nur möglich. Nirgendwo findet sich der geringste Antagonismus. Das Zusammenbringen der beiden wesensfremden Stoffe, die im althergebrachten Gerät so derb kontrastierend miteinander verwendet worden sind, macht hier einem stillen Einvernehmen Platz, in dem viele Züge der Erinnerns und der Reflexion aufscheinen, ohne historistische Abhängigkeiten und Sentimentalitäten.


Sowohl die beinahe raumgreifenden grossen, als auch die vielen kleinformatigen Zeichnungen Franz Bernhards tragen insgesamt zur Entfaltung des plastischen Werkes bei, sie sind aber viel weniger Vorstudien im Einzelnen. Eher wirken sie wie der begleitende Strom der impulsiv manuellen Überlegungen zum Dreidimensionalen. Ergibt sich punktuell ein unmittelbarer Zusammenhang, so wird dieser relativiert durch die beträchtliche Zahl begleitender Varianten. In den Zeichnungen beruft sich der Künstler unentwegt auf die Figuration. Menschliche Gestalt als Sammelpunkt plastischer Motive aus Häuptern, Rümpfen, Gliedern. Insofern schliessen sie dreifach Bernhards Intentionen auf als zeichnerisches Definitivum, als Paraphrase des Bildhauerischen und als Exerzitium für die Verwendung der Ausdruckswerte der menschlichen Gestalt. Einsatz und Bewegung von Stift und Feder geschehen mit Nachdruck und Härte. In der Endform sehen sie sich durch breite, mildernde Pinselzüge versöhnlich eingebunden. Dass im druckgraphischen Feld die mit Kraft in die Metallplatte gegrabene Kaltnadelarbeit Vorrang behauptet, ist selbstverständlich. Hier sorgt der spurenreiche Plattengrund für vermittelnde Tonwerte. Aus allen Resultaten der Arbeitsfelder, ihren vielen internen Scharnieren und Gewichtungen, ergibt sich ein Oeuvre von gelassener Homogenität.


                                                                                                                                                                  Hans van der Grinten

WV 459, Kopf, schwebend, 2007, Bronze, 39,5 x 41 x 22,5 cm,

Auflage: 1/5 - 5/5

... Die Köpfe sind gezeichnete Figuren. Es sind Kopf-Figuren. In einer Gruppe der Zeichnungen sind sie auf Zeilen gesetzt wie Buchstaben-Bilder. Der Zeichencharakter der Köpfe ist bei ihnen formal am deutlichsten. Man kann sie lesen. Und sie stehen, bewegen sich, tanzen; fast wild und ihre Grenzen auflösend. Sie bilden für sich bleibend aufeinander bezogen, also miteinander, einen Rhythmus von Bewegung über die Zeile, über das Blatt. Sie konfigurieren.

                                                         

                                                           Erich Thies

... Die Zeichnungen Bernhards sind eigenständig und nicht nur vorbereitende Übungen für ein dreidimensionales Werk. Tatsächlich umspielen sie jedoch Themen und Möglichkeiten auf der Grundlage einer grundsätzlichen Umsetzbarkeit in die Skulptur.

Diese grundsätzliche Umsetzbarkeit gilt auch für die Zeichnungen, in denen durch ein Spiel mit Massen und Formen Grenzen plastischer Realisierung ausgelotet werden.                                          

                                                                  Erich Thies

... Zeichen sind Charaktere, Köpfe haben Charakter. Die einzelnen Köpfe drücken Trauer und Scham aus, Zorn und Verbissenheit, Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit, Kraft, Unbeirrbarkeit, Gradlinigkeit, Gelassenheit, Stolz, Arroganz, Würde; sie nehmen sich zurück, warten ab oder schieben sich vor. Dies soll nicht heißen, dass gezeichneter Kopf und Ausdruck einander eindeutig zuzuordnen wären oder sich vollständig decken würden. Beide sind ebenso vieldeutig, sich verändernd und sich vermischend, wie wir es im täglichen Umgang miteinander erfahren.


                                                                               Erich Thies