Thomas Duttenhöfer

Veronika Wiegartz
„Wo Auge und Hand und Ton und Werkzeug eins sind“

Streng blickt er, fast ein bisschen zu streng, in seinen Selbstporträts aus den Jahren 1997 und 2003. So als habe Thomas Duttenhoefer nicht nur sein Tun, sondern auch sich selbst beim Blick in den Spiegel stets kritisch hinterfragt. Wer bin ich und was mache ich? Die Suche nach dem Individuum macht für ihn denn auch den eigentlichen Reiz des Porträtierens aus.


Das plastische Porträt hat, so selbstverständlich es als Disziplin der figürlichen Bildhauerkunst zugerechnet wird, in seiner Bewertung vielfältige Wandlungen erfahren. Während es an offizieller Repräsentanz eingebüßt hat, blieb seine Wertschätzung als Gegenstand künstlerischer Betätigung unberührt. Die spezifische Qualität, eine dargestellte Person nicht nur – wie in der Malerei – illusionistisch wiederzugeben, sondern sie zu verkörpern, also haptisch und in Beziehung zum realen Raum erlebbar zu machen, bescherte dem plastischen Porträt stets einen besonderen Status. Sowohl im Ahnenkult als auch im Rechts- und Herrschaftswesen wurde es bevorzugt eingesetzt. Nicht selten kam ihm dabei die Funktion eines Stellvertreters zu, immer aber schwang der Anspruch auf eine Würdeformel mit. Diese Aufgaben sind dem plastischen Porträt zunächst durch seine wachsende Popularität und später durch die zunehmende Medialisierung abhanden gekommen. War ein Porträt ehedem nur den höchsten Gesellschaftsschichten vorbehalten, so führte die Emanzipation des Bürgertums im 19. Jahrhundert zu einem wahren Boom der Gattung. Mit der Breitenwirkung kam die Beliebigkeit und damit auch der Niedergang. In dem sich wandelnden Raum- und Architekturverständnis der Moderne fand das repräsentative Porträt im wahrsten Sinne des Wortes keine Nische mehr. Seine Hauptaufgabe, die Vergegenwärtigung einer bestimmten Person, war zudem längst von anderen, viel mobileren Medien übernommen worden: von der Fotografie und später vom Film. Spätestens seit 1945 galt das plastische Porträt im öffentlichen Raum als obsolet. So hat das plastische Bildnis seine 8 offizielle Natur weitgehend gegen eine private ausgetauscht, in dem der Impuls zur Anfertigung immer seltener vom Dargestellten oder seinem Umfeld als Auftraggeber ausgeht. Treibendes Moment ist der Bildhauer selbst und sein spezifisches Interesse, sich mit einer bestimmten Physiognomie und dem sich dahinter verbergenden Wesen auseinanderzusetzen.


Die besonderen Herausforderungen des Porträts, nämlich sich auf der einen Seite mit der künstlerischen Einschränkung zu arrangieren, die sich aus dem Vorhandensein eines Gegenübers ergibt, und auf der anderen Seite dem Anspruch gerecht zu werden, nicht nur die vergänglichen Züge dieses Gegenübers festzuhalten, sondern auch seine Persönlichkeit geistig zu erfassen, hat der Bildhauer Gustav Seitz (1906–1969) in seinem 1958 erschienenen Insel-Büchlein über die Deutsche Porträtplastik des 20. Jahrhunderts (S.44- 45) treffend charakterisiert:

„Und doch wird jeder Porträtist, der sich mit Ernst und Hingabe an seine Aufgabe macht, immer erfahren, dass er sich deren Besonderheit, also einer starken Einschränkung seiner künstlerischen Freiheit, nicht entziehen kann. Der Darzustellende ist für den Darstellenden nicht Objekt allein, wie es eine Landschaft, ein Stilleben oder auch der menschliche Körper ist, der Darzu stellende ist für den Porträtisten Individuum wie der Künstler selbst, ein Mensch mit einem eigenen Willen, den er dem Willen des Künstlers gegenüber- und entgegenstellt. Diese Spannung zwischen der Individualität des Künstlers und der des Darzustellenden besteht beim Porträtieren immer, das heißt, sie besteht unabhängig davon, ob der Porträtist sich auf die Wiedergabe der Natur beschränkt oder ob er stärker übersetzt. In jedem Fall muss er mehr als bei anderen Objekten oder figürlichen Kompositionen seine eigene Persönlichkeit zurückstellen. Es tritt zu der geistigen Arbeit, die jeder Gestaltungsprozess vom Künstler fordert, eine neue hinzu: die Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Modells.


Daher verlangt das Porträtieren außer einem gewissenhaften Studium der Natur vor allem die Beschäftigung mit dem Wesen des Darzustellenden. Je mehr der Künstler übersetzt, je mehr er das Geistige seines Modells wieder - geben will, um so mehr muss er sich bemühen, in dessen Seele einzudringen. 9 Es gibt Charakterzüge, die nicht so obenhin sichtbar sind. Ein verschlossener Mensch oder ein sensibler ist weniger leicht zu erkennen als ein offener und unkomplizierter oder ein grober. Doch sind es nicht zuletzt die unsichtbaren Züge, die den Künstler interessieren und die er sichtbar machen muss, wenn er mehr geben will als oberflächliche Porträtähnlichkeit. So kommt es, dass zugunsten des Ausdrucks ein Zug übertrieben oder auch gemildert wird. Es wird die Natur verändert, damit das Wesen des Menschen um so reiner aus seinem Bildnis spricht.“


Der Eindruck von Beseeltheit, der für den Betrachter – neben der Ähnlichkeit – die Qualität eines Bildnisses ausmacht, hängt somit in hohem Maße von der Interpretation des Künstlers ab. Während Individualität und Innerlichkeit eines anwesenden Menschen durch die bewegte Einheit von Körper und Seele direkt erfahrbar sind, muss der Porträtist seelische Momente mit rein abbildenden Mitteln kreieren. Erreicht wird dies durch eine Harmonisierung der Gesichtszüge, was ebenso die abstrahierende Vereinfachung wie auch die Überzeichnung einschließt. Im Porträt steht der Rezipient daher einer bereits gedeuteten Persönlichkeit gegenüber.


Die Fähigkeit, das psychologische Moment einer Person zu erfassen und im Porträt wiederzugeben, hat letztendlich jedoch auch etwas mit Intuition und Begabung zu tun. Thomas Duttenhoefer verfügt über eine solche Begabung. Seine Vorgehensweise ist von Bernd Krimmel eindrücklich beschrieben worden (Thomas Duttenhoefer: Das Porträtwerk, Darmstadt 1989). Ohne vorbereitende Zeichnung beginnt Thomas Duttenhoefer die Porträtsitzung direkt mit der Arbeit am Tonmodell. Um einen auf einer Montierung befindlichen Tonkern legt er dabei mit beiden Händen Schicht um Schicht weitere Stückchen Ton an, die er, gespeist aus einem in den Handflächen deponierten Vorrat, zuvor mit den Fingerspitzen zu kleinen Kugeln geformt hat. Die Bewegungsabläufe sind dabei rasch, flüssig und konzentriert. Die Augen blicken prüfend ab wechselnd auf den allmählich wachsenden Kopf und die zu porträtierende Person. Diese dreht sich auf seine Anweisungen regelmäßig im Uhrzeigersinn ein Stückchen weiter, damit das Volumen über die Kontur des Kopfes bestimmt werden kann. In einem rein additiven Verfahren wächst auf 10 diese Art und Weise zunächst die Struktur des individuellen Schädels empor, auf den dann das Fleisch mit den charakteristischen Zügen des Dargestellten aufgebracht wird. Diese sind scharf und expressiv gezeichnet, überschreiten aber niemals die Grenze zur Karikatur. Das Porträt ist fertig, wenn die physiognomischen Eigenheiten ihre maßgebliche Ausprägung gefunden haben.


Arbeitsspuren, wie die Übergänge der einzelnen Tonkügelchen, werden nicht geglättet, sondern sind ein konstituierendes Element der Köpfe. Entscheidend tragen sie zu dem Eindruck der Lebendigkeit bei, indem sie auf eigentümliche Weise den Lebensspuren entsprechen, die sich im Laufe der Jahre in die menschliche Haut eingraben. Die Beschränkung auf den bloßen Kopf nur mit der Andeutung des Halses verleiht den Bildnissen dabei gleichzeitig etwas Konzentriertes wie Unprätentiöses. Ihre Montierung auf einer Eisenstange führt dort, wo es zu leichten Verschiebungen aus der Achse kommt, wo also ein nach vorne oder zur Seite Neigen angedeutet wird, zu einer zusätzlichen Dynamisierung der Köpfe. Und auch das Material trägt seinen Anteil zu der besonderen Wirkung der Bildnisse bei. Obwohl einige der Porträts von Thomas Duttenhoefer auch in Bronze gegossen worden sind, präferiert er selbst den Gips. Diesem haften – anders als dem Metall – Assoziationen von Zerbrechlich- und Vergänglichkeit an. Damit entspricht er eher der endlichen Natur des Menschen, auch wenn der Anspruch des über die Zeit hinaus Erinnerns, der sich mit der Idee des plastischen Porträts verbindet, durch den Werkstoff teilweise zurückgenommen wird. Darüber hinaus erlaubt der Gips Thomas Duttenhoefer eine leichte farbliche Akzentuierung seiner Köpfe. Die zarte Kolorierung der Lippen, der Ohren, der Brauen oder anderer markanter Linien des Gesichtes löst das kalte Weiß des Materials auf zugunsten des Eindrucks von warmer, matter Haut. So wird der Betrachter beim Blick auf die Bildnisse nicht nur angerührt, sondern sieht sich unmittelbar in einen Dialog verwickelt, in dem der Dargestellte als gleichwertiges Gegenüber auftritt.


Auch wenn es sich bei den Porträtierten häufiger um Menschen handelt, die Thomas Duttenhoefer kennt, so zeugt doch die Tatsache, dass das Tonmodell mancher Köpfe in der sehr kurzen Zeitspanne von nur zwei Stunden entstanden ist, zunächst von großem handwerklichen Können und dann von der außerordentlichen Fähigkeit, sich in höchster Intensität auf einen Menschen einlassen zu können. Dies ist nicht selbstverständlich, findet aber Rückhalt in seinem übrigen Werk. Der große Leitgedanke, der sich durch alle Arbeiten von Thomas Duttenhoefer zieht, ist die wesenhafte Existenz der Kreatur und ihre letztendlich in den Tod mündende Fragilität. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema beschreibt er für sich als existentiell, sein Zugang ist sensibel und das Ergebnis von einer stillen Würde gekennzeichnet. Für die Vorstellung des Wesens, das sich aus einer Seele (oder Geist) und einem früher oder später zum Siechtum verurteilten Körper zusammensetzt, hat Thomas Duttenhoefer das Bild der Hülle entwickelt. Sie schützt und bewahrt, macht aber gleichzeitig anschaulich, dass sich hinter ihr etwas verbirgt, was es zu entdecken gilt. Dieser Gedanke, dass es nämlich ein sichtbares Äußeres gibt und ein unsichtbares Inneres, dessen Spuren sich gleichwohl am Äußeren ablesen lassen, führt von seinen Figuren in direkter Linie zu den Porträts. Mit positiver Neugierde und Fürsorge leitet ihn die Frage nach dem, was hinter den Schädeln steckt. Und letztendlich gilt für alle Köpfe von Thomas Duttenhoefer eine Äußerung, die er für Bd. 1 seines Porträtwerks aufgezeichnet hat: „Für mich ist es ein Zustand höchster Konzentration, wo Auge und Hand und Ton und Werkzeug eins sind, um mich durch intensives Sehen meinem Gegenüber zu nähern.“


Thomas Bernhard
Gips, bemalt, 2000, Höhe 32 cm
- postum entstanden -
Bronzefassung, Städt. Bühnen Frankfurt, Schauspiel
Bronzefassung, Schiller-National-Museum Marbach
Bernhard Minetti II
Bronze, 1986/87, Höhe 28 cm
Frankfurt, Städt. Bühnen, Kammerspiele
Kiel, Staatstheater
Familie Minetti
Ludwig Scharf
Eisen, 2010/11, Höhe 30 cm
- postum entstanden -
Bronzefassung, Schiller-National-Museum Marbach
Alphons Silbermann
Gips, bemalt, 1998, Höhe 39 cm
Bischof Hermann Josef Spital
Gips, bemalt, 1997, Höhe 37 cm
Diözesanmuseum Trier
Bronze, Bistum Trier
Hilde Domin
Gips, bemalt, 2005, Höhe 34 cm
Gemeinde Hirschberg
Bronze, Schiller-National-Museum Marbach
Marcel Reich-Ranicki
Bleistiftzeichnung, 2004
16,5 x 13 cm
Marcel Reich-Ranicki
Bleistiftzeichnung, 2004
18 x 15 cm
Peter Rühmkorf
Bleistiftzeichnung, 2006
17 x 18 cm
Peter Rühmkorf
Bleistiftzeichnung, 2006
18,5 x 15 cm
Bernhard Minetti
Bleistiftzeichnung, 1992
16,5 x 13 cm
Bernhard Minetti
Bleistiftzeichnung, 1992
18,5 x 17 cm
Hilde Domin
Kohlezeichnung, 2005
17,5 x 15 cm
Karl Krolow
Bleistiftzeichnung, 1998
16,5 x 13 cm

Was hinter der Schale steckt – Helm, Schädel und Kopf
Veronika Wiegartz


London 1974/75: Thomas Duttenhoefer ist Stipendiat des DAAD und hält sich an der St. Martin’s school of art auf. Ein kleines Atelier im East-End bietet Ruhe zum Arbeiten. Beeinflusst durch Henry Moore (1898 - 1986) entsteht die Arbeit „Helmet“ (Helm), die den Auftakt für eine ganze Werkgruppe bildet, in der Thomas Duttenhoefer das Thema in den folgenden zwanzig Jahren umfassend erschließen wird. „Helmet“ wirkt ungewöhnlich kompakt und grenzt sich gegen den umgebenden Raum ab. Dickwandig und wie ein umgestülptes Gefäß ruht er auf der Fläche. Nur wenige Risse und ein senkrecht in die Form getriebener Keil, der jedoch eher gliedernd als spaltend empfunden wird, schaffen eine Verbindung zum Innenraum. Kaum nur deutet sich der Grad an Zerbrechlichkeit an, der für die späteren Arbeiten so typisch wird.


Dennoch erscheint es im Rückblick konsequent, dass sich der junge Bildhauer von genau diesem Themenkomplex im Werk von Henry Moore inspirieren ließ. Moore beschäftigte sich – zunächst zeichnerisch und im Zusammenhang mit dem Spanischen Bürgerkrieg – seit den späten 1930er-Jahren mit dem Helm. 1939/40 entstand „The Helmet“, gefolgt von einer weiteren Serie von Helmen ab 1950. „The Helmet“ zeigt erstmals in seinem Werk die Kombination einer inneren und äußeren Form. In einer helmartigen, zu gut einem Drittel geöffneten Schale befindet sich ein separiertes, auch als stehende Figur zu lesendes plastisches Element. Vor dem Hintergrund des beginnenden Krieges sowie der Tatsache, dass Henry Moore sich gleichzeitig mit Familiengruppen beschäftigte, bleibt in der Schwebe, ob die Figur als gefangen, beschützt oder auch als beides zu lesen ist. Elementar jedoch ist die Vorstellung von zwei untrennbar miteinander verbundenen Größen: einem inneren Kern und einer umliegenden Hülle.


Genau diese Idee wie auch die Ambivalenz, gleichzeitig beschützt und ein - gesperrt zu sein, trafen die bildhauerischen Vorstellungen ebenso wie den humanitären Anspruch, den Thomas Duttenhoefer für sein Schaffen an sich stellte. Er mag dabei an sein zurückliegendes Jahr des Zivildienstes in einem Wiesbadener Altenpflegeheim erinnert worden sein, in dem er – prägend für sein ganzes folgendes Werk – damit konfrontiert wurde, dass der Mensch aus Geist (oder Seele) und Körper besteht und dass diese beiden Elemente, die doch die Persönlichkeit des Menschen ausmachen, nicht immer miteinander konform gehen. Früher oder später ist der Körper, manchmal auch der Geist, dem Verfall preisgegeben und lässt die andere Hälfte des Wesens hinter sich. Thomas Duttenhoefer hat damals eindrückliche Zeichnungen des menschlichen Siechtums geschaffen und in seinen Tagebuchnotizen darüber reflektiert, wie wenig Zugang man als Außenstehender zu der – von ihnen selbst als real empfundenen – Vorstellungswelt geistig Verwirrter findet. Physis und Psyche sind nicht immer eins, aber sie bedürfen einander und sie bedürfen beide eines Schutzes von außen.


Der Umgang mit Siechtum, Krankheit und Tod hat aber auch den Blick für den Schädel geschärft, der als markante, sich unter der Haut abzeichnende Form des Kopfes bis zuletzt erhalten bleibt und proportional zum Verschwinden des Menschen immer deutlicher greifbar wird. Die Natur bildete ihn als eine schützende Hülle für das Hirn aus, Zentrum jeder geistigen, aber auch körperlichen Regung. Die empfangenen Eindrücke waren so intensiv, dass Thomas Duttenhoefer 1973, noch vor „Helmet“, zunächst drei hagere, wie mit Mull vollständig einbandagierte „Köpfe“ schuf, die bereits die oben ange deutete Ambivalenz in sich tragen. Eindrücklich verweisen sie darauf, dass der Kopf als pars pro toto für den Menschen in vielen Situationen des Schutzes bedarf, und zeigen ebenso, dass diese unter der Hülle verborgenen Menschen stumm geworden sind und sich der Außenwelt weder durch Mimik noch Sprache mitteilen können. Der Helm ist nur die logische Fortsetzung der Bandage, beinhaltet aber einen aktiveren Aspekt, denn für gewöhnlich wird er vom Träger selbst aufgesetzt, um sich vor äußeren Angriffen zu schützen. Diese Verschiebung ins Aktive mag von neuen Eindrücken geleitet gewesen sein.


In London angekommen, sah sich Thomas Duttenhoefer bei abendlichen Spaziergängen durch das East-End mit dem Elend der Obdachlosen konfrontiert, an denen er gleichwohl einen starken Lebens- und Behauptungswillen beobachtete. Es lohnt sich in diesem Zusammenhang auf ein kurzes Statement zurückzugreifen, das Thomas Duttenhoefer 1985, also auf halber Wegstrecke dieser Werkgruppe, schrieb:


„[Ich machte] die ersten Helme, und der Aspekt des Verhüllens begann in meinen Arbeiten zu dominieren. Ich wählte dieses Mittel aus, um mich nicht zum Komplizen des Verfalls zu machen. Durch das Umfassen des Schädels wird der Innenraum stärker definiert, er wird Form durch die äußere ‚Hülle‘. Ich versuche über die Form zum Ausdruck zu bringen, dass der Mensch ein geistiges Wesen ist. Der Schädel und das Körperliche stellen die Hülle für das dar, was wir Geist oder Spirituelles nennen.


Kopf, Schädel und Helm weisen auf den Sitz des geistigen Zentrums hin; sie bedeuten für mich gleichzeitig auch Behauptungswille und Wappnung gegen Gefahr, auch im imaginären oder psychischen Sinne, denn gerade das Geistige muss gegen vielerlei gewappnet sein.“


Von Beginn an hatte Thomas Duttenhoefer das ideale Material gefunden, um seinem Anliegen Ausdruck zu verleihen. Viele der Helme, aber auch der parallel dazu weiter entstehenden Köpfe, sind aus dünnen, selbstgefertigten Wachsplatten geformt, die sich unter der Wärme und dem Druck der Hände gut wölben lassen. Ausgehend von einer inneren Ideenskizze entwickelt sich die eigentliche und endgültige Gestalt des einzelnen Werks während des Schaffensprozesses. Später im Wachsausschmelzverfahren direkt als verlorene Form in Bronze gegossen, stellen alle diese Arbeiten Unikate dar.


Wachsplatten sind ein Material mit vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten: sie lassen glatte Oberflächen mit gespannten Rundungen zu, aber auch Deformierungen der plastischen Haut; sie ermöglichen durch Abdrücke, Tropfnasen oder auch das Einmodellieren von Gewebestücken eine strukturierte Oberfläche; sie lassen sich in einzelnen Elementen übereinanderheften oder durch Nähte miteinander verschweißen; sie erlauben Schnitte und Auffaltungen. Und all das bei einer relativ dünnen Materialstärke, die per se schon an etwas Zerbrechliches gemahnt. Unter den Händen von Thomas Duttenhoefer haben sich diese Platten zu Gebilden gefügt, die gleichzeitig geschlossen und offen sind. Die auf einige Punkte verknappte Auflagefläche macht sie zu offensichtlichen Hohlformen, denen etwas Fragmentarisches eignet, ein Eindruck der durch die Schnitte und Durchbrüche noch verstärkt wird. Einer reduzierten, fast strengen bildhauerischen Form steht eine belebte Gestaltung der Oberfläche gegenüber, die Verletzungen aufweist, Flicken integriert und über vermeintliche Altersspuren verfügt.


Damit gelangt eine zeitliche Dimension in die Werke: sie scheinen von (fernen) Schicksalen zu erzählen. In der gestalterischen Ausprägung sind die Übergänge zwischen Schädel, Kopf und Helm fließend. Nicht immer ist an den Arbeiten sofort abzulesen, welches der drei symbolträchtigen Bilder gemeint ist.


Letztendlich ist dies jedoch auch gleichgültig, denn alle drei weisen darauf hin, dass sie nur Hülle um einen Raum sind. Dieser Raum aber steht bei allen Arbeiten von Thomas Duttenhoefer als Sinnbild der eigentlichen, wesenhaften Existenz. Mit sparsamsten bildnerischen Mitteln versteht er es, Neugierde und Empathie zu wecken, für ein unbekanntes Wesen, das hinter der Schale steckt.

Was bleibt
Bronze
1981
Höhe 16 cm
Krieger
Bronze
1994
Höhe 16 cm

Helmform
Bronze
1981
Höhe 17cm

Kopf
Kohlezeichnung
1982
19,5 x 28 cm

Kopfform
Bronze
1988
Höhe 17 cm

Schädel
Bronze
1992
Höhe 14 cm

Thomas Duttenhoefer

BIOGRAFIE
1950 geboren in Speyer
1964/65 Erste Unterweisung durch den Maler Thomas Schubert
1967-69 Studium an der Werkkunstschule in Wiesbaden
1969-72 Studium der Bildhauerei an der Fachhochschule für Gestaltung in Wiesbaden bei Erwin Schutzbach, Malerei bei Robert Preyer und Alo Altripp
1971/72 Studienreisen durch Europa, Marokko und Ägypten
1973/74 Zivildienst in einem Altenpflegeheim in Wiesbaden
1973 Entstehung der ersten Köpfe, Schädel, Helme und Torsi
1974/75 Londonstipendium des DAAD (British Council), St. Martin’s school of art
1975 Gastlehrer am Goldsmith-College der Universität London
1976 Mitglied der Neuen Darmstädter Sezession
1979 Übersiedlung nach Darmstadt, Atelierhaus auf der Rosenhöhe, Neue Künstlerkolonie
1980-82 Lehrauftrag für Plastisches Gestalten und Figürliches Zeichnen Fachhochschule Mainz
1981 Gründung des Lehrateliers „Am Römerberg“, Wiesbaden
1984 Lehrauftrag Universität Mainz
seit 1985 Erste Glasfenster
1988 Arbeitsstipendium der Villa Massimo, Casa Baldi, Olevano Romano
1990-93 Reisen nach Andalusien
1995 Professor an der Fachhochschule Trier, Fachbereich Gestaltung
2003 Professor an der Hochschule Mannheim, Fakultät für Gestaltung
ab 2005 Jährliche Aufenthalte auf Usedom