Biografie
1927 - 1945
Emil Cimiotti wird am 19. August 1927 in Göttingen geboren. Der Vater ist Arbeiter,
die Familie lebt in einfachen Verhältnissen. Nach Beendigung der Schulzeit wird er
– siebzehnjährig – noch zur Wehrmacht eingezogen und erlebt die letzten Kriegs -
monate als Soldat.
1946 - 1948
Nach der Rückkehr aus englischer Kriegsgefangenschaft folgt eine Lehre als Steinmetz,
es entstehen erste plastische Versuche.
1949
Völlig mittellos beginnt Cimiotti sein Studium an der Kunstakademie in Stuttgart bei
Otto Baum. Seinen Lebensunterhalt erwirbt er sich durch Nebenjobs. Im ersten
Semester modelliert er einige gegenständliche Plastiken und erhält daraufhin das
Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes.
1950
Infolge der Isolierung Nazideutschlands war dem Heranwachsenden die Kunstentwicklung
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unbekannt geblieben. Jetzt erscheinen
sporadisch die ersten Publikationen. Welten tun sich auf. Cimiotti erlebt diese
Erweiterung seines Blickfelds wie eine Offenbarung. Rasch wandelt sich seine Arbeit
und nimmt experimentellen Charakter an, bewusste Formstudien setzen ein. Willi
Baumeister, der an der Stuttgarter Akademie Malerei lehrt, besucht ihn gelegentlich in
seinem Arbeitsraum in der Hochschule und fordert und fördert ihn durch sein
Interesse. Er spricht nie über Plastik, doch seine Äußerungen über Malerei sind so
elementar, dass Vieles davon auf die räumliche Arbeit übertragbar ist.
1951
In der ersten Publikation über abstrakte Kunst, einer Sonderausgabe der Zeitschrift
Das Kunstwerk, wird Cimiotti erstmals neben Willi Baumeister, Ernst Wilhelm Nay, Georg
Meistermann und anderen genannt. Eine seiner Studien wird abgebildet. Er geht an
die Hochschule für Bildende Künste nach Berlin zu Karl Hartung, der ihn allerdings
nach zwei Monaten energisch aus seiner Klasse weist. Hans Uhlmann und Carl Hofer
intervenieren, damit der Künstler sein Stipendium behalten kann. Cimiotti geht nun für
ein Semester nach Paris, für Deutsche so kurz nach dem Krieg nicht ganz einfach. Er
geht zu Ossip Zadkine an die École de la Grande Chaumière, nutzt aber die Zeit
weniger zur praktischen Arbeit als zu Besuchen im Louvre und im Musée d’Art
Moderne. Er besucht Constantin Brancusi im legendären Atelier in der Impasse Ronsin,
Le Corbusier in seinem Maleratelier in Neuilly sowie Fernand Léger, der seinen Unterricht
in der Nähe des Montmartre erteilt.
1952/53
Rückkehr an die Kunstakademie Stuttgart und Fortsetzung der Formstudien. Freunde
in der Baumeister-Klasse sind Peter Brüning, Fritz Seitz und Eduard Micus. Cimiotti
zählt zum Kreis um den Philosophen Max Bense. Zum intensiven Austausch kommt es
mit dem schon greisen Bildhauer Alfred Lörcher.
1954
Heirat mit Brigitte Hörz. Cimiotti beendet sein Akademiestudium, seine plastischen
Versuche sind zu räumlichen Strukturen geworden.
1955
Die erste Wachsplastik wird in Bronze gegossen, viele vorangegangene Studien
vernichtet der Künstler.
1956
Neue Figurationen entstehen, es kommt zu ersten Ausstellungsbeteiligungen. Heftige
Angriffe und Verrisse durch die Kunstkritik folgen, da die neuen Arbeiten eine
ungewohnte Auffassung von Bildhauerei zeigen.
monate als Soldat.
1957
Cimiotti erhält den Kunstpreis »junger westen 57« für Bildhauerei, der durch die Stadt
Recklinghausen und die Künstlergruppe »junger westen« vergeben wird – damals der
erste und einzige Preis für progressive avantgardistische Kunst mit entsprechendem
Echo. Dieselben Arbeiten, die eben noch von der Kritik verrissen wurden, werden nun
begeistert gefeiert, nachdem Albert Schulze Vellinghausen und John Anthony
Thwaites sehr positiv darüber berichtet haben. Es folgen erste Einzelausstellungen und
Ankäufe. Cimiotti ist von nun an wirtschaftlich unabhängig.
1958
Es entstehen die für dieses Jahr typischen Figurengruppen. Cimiotti ist mit einer Werkgruppe
im Italienischen Pavillon der 29. Biennale in Venedig vertreten. Seine Arbeiten
gelten nun als ein wesentlicher Beitrag zum europäischen Informel.
1959
Cimiotti erhält den Kunstpreis »junger westen 59«, diesmal für Handzeichnung, den
Preis der »Gesellschaft für junge Kunst« in Baden-Baden und das Stipendium der Villa
Massimo. Er verbringt – intensiv arbeitend – den größten Teil des Jahres in Rom. Hier
entstehen zwölf Plastiken, die erstmals landschaftliche Bezüge aufweisen. Eduard Trier
beschreibt diesen Ansatz als eine neue Kategorie innerhalb der Bildhauerei. Teilnahme
an der Documenta II, der 2. Biennale junger Kunst im Musée d’Art Moderne in Paris sowie
der Wanderausstellung European Art Today in den USA.
1960
Die in Rom entstandenen Arbeiten werden im Kölner Kunstverein ausgestellt. Nahezu
alle Stücke werden von Museen erworben. Auf der 30. Biennale in Venedig werden
Cimiottis Plastiken im Deutschen Pavillon neben Baumeister, Julius Bissier und Karl
Schmidt-Rottluff gezeigt.
1961/62
Gustav Stein, großer Förderer junger Kunst, regt Cimiotti an, eine Plastik für sein
Anwesen zu schaffen. Er schlägt das Thema »Daphne« vor, welches Cimiotti auf den
Leib geschneidert zu sein scheint und von ihm ganz neu interpretiert wird. Die große
Plastik bildet einen Höhepunkt in seinem Schaffen. Teilnahme an der 3. Biennale junger
Kunst im Musée d’Art Moderne in Paris, Einzelausstellungen bei Otto van de Loo und
Dieter Brusberg.
1963 - 1965
Cimiotti erhält mehrere Angebote ein Lehramt zu übernehmen. Er entschließt sich,
dem Ruf nach Braunschweig zu folgen, wo eine neue Kunsthochschule unter seiner
Mitwirkung gegründet wird. Übersiedlung nach Wolfenbüttel. Teilnahme an der Documenta
III mit Plastiken und Handzeichnungen. Eine erste Monografie von Hans Wille
erscheint.
1966 - 1970
Im Werk der Informellen wird in diesen Jahren eine gewisse Verunsicherung spürbar.
Zwar hatte sich Cimiotti bereits früh von einer direkten Einbindung in das Informel
distanziert, dennoch gehört seine Arbeit in dieses Umfeld. Er reagiert, indem er seine
Arbeitsweise ändert, und geht zum Sandguss über, der die Kompositionen kompakter
werden lässt und Auflagengüsse ermöglicht. Teilnahme an der 19. Biennale Internazionale
d’Arte Premio del Fiorino in Florenz, der Ausstellung Plastieken in het landschap
in Keukenhof-Lisse und an der Weltausstellung in Osaka / Japan. Es entstehen größere
Freiplastiken für die Universitäten Göttingen und Konstanz, vorher schon für die
Universität Kiel.
1971 - 1974
Cimiotti kehrt zu seiner alten Technik des direkten Arbeitens in Wachs zurück. Unter
den vegetativen Motiven werden Hinweise auf die Vergänglichkeit erkennbar, so z. B.
in den Werken Romeo und Julia und Santa Maria della Concezione.
1975 - 1980
Es entstehen neue Plastiken, die einen scheinbaren Realismus ahnen lassen. In der
Hauptsache sind es Stillleben, letztlich Vanitas-Motive. Cimiotti setzt erstmals für
manche Details bei seinen Plastiken Farbe ein, es entstehen auch farbige Zeichnungen
(Rignana-Folge). Er erhält größere öffentliche Aufträge, z. B. für den Ständehausbrunnen
in Hannover, den Eberhard Roters einen »gewaltigen, breitlagernden Strukturteppich,
einen Dschungel aus Waben und Hohlräumen« nennt. In der Kunsthalle
Mannheim findet eine umfassende Retrospektive statt. Die Nationalgalerie Berlin
erwirbt die frühe Plastik Der Wald und ein Konvolut Zeichnungen.
1981 - 1988
Ein schwerer Unglücksfall in der Familie erlaubt für zwei bis drei Jahre kaum plastische
Arbeit, Cimiotti zeichnet in dieser Zeit sehr viel. Ab Mitte 1984 Wiedereinstieg in die
plastische Arbeit, es entstehen figurative Objekte, die fragmentarische Züge aufweisen,
z. B. Stauffenberg-Projekt, Figur (für Meister Gislebertus). Retrospektiven im
Museum am Dom, Lübeck, und im Kunstverein Braunschweig. 1984 erhält Cimiotti
den Niedersachsenpreis für Kultur.
1989 - 1992
Es sind die letzten Jahre der Lehrtätigkeit an der Braunschweiger Hochschule. Im neuen
Atelier in Hedwigsburg entstehen großformatige Plastiken, einige werden bemalt. Mit
den Bergmotiven bildet sich eine neue Facette im Werk heraus, die Jahre sind äußerst
produktiv. Retrospektiven in der Dominikanerkirche in Osnabrück und in der Kunsthalle
Recklinghausen. Eine zweite, von Eberhard Roters verfasste Monografie erscheint. Die
Figur (für Meister Gislebertus) wird durch die Stadt Braunschweig für den Dom zu
Braunschweig erworben.
1993 - 1999
Cimiotti nähert sich nun wieder auf ganz andere Weise früheren landschaftlichen
Themen, die Farbe als Gestaltungsmittel tritt zurück. Teilnahme an der Ausstellung
Europäische Plastik des Informel im Lehmbruck Museum in Duisburg. Wahl zum
Mitglied der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg. Die Staatlichen Kunstsammlungen
Dresden erwerben die frühe Plastik Daphne, die einst im Besitz von Gustav
Stein gewesen war.
2000 - 2005
Cimiotti arbeitet noch immer täglich in seinem Atelier in Hedwigsburg. Er erhält
mehrere Ehrungen und Auszeichnungen, viele Einzelausstellungen finden statt. Die
Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erwerben die Plastik Ich denke an Alice
aus dem Jahre 1975.
2006 - 2013
Weiterhin tägliche Arbeit im Atelier und verstärkte Ausstellungstätigkeit.
2006 erhält Cimiotti den Ernst-Rietschel-Kunstpreis für Bildhauerei.
Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erwerben für das Albertinum das Bodenrelief
"Große Düne" und die farbig gefassten Plastiken Sierra Nevada und Vulcano.
Zusammen mit den vorher schon angekauften Arbeiten befindet sich damit ein
gewichtiger Teil von Cimiottis Oeuvre in der Skulpturensammlung des Albertinum.
2010–2012 entstehen ganze Gruppen neuer Kompositionen, die auf Stahlträger
montiert sind.
Das Dommuseum Hildesheim erwirbt die Plastik "Strukturen – vernetzt", die nach
Beendigung der Renovierungsarbeiten am Hildesheimer Dom im Eingangsbereich
aufgestellt wird.
2012/13 greift Cimiotti in einigen Arbeiten frühe Themen aus seinen Anfängen erneut
auf, die in Format und Detail zu gänzlich neuen Ergebnissen führen.
Arbeiten von Emil Cimiotti befinden sich in vielen namhaften Sammlungen und Museen im In- und Ausland.
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