Annemarie Avramidis

 

Bildhauerin       Zeichnerin       Dichterin

„ ...diese 2000 Jahre alte, immer wechselvolle und unter den Händen innovativer Bildhauer stets bedeutsame Wirkungsgeschichte der archaisch-frühklassischen Skulptur Griechenlands steckt gleichsam das Terrain ab, auf dem Annemarie Avramidis seit über vierzig Jahren ihre Entdeckungen macht. Man versteht ihre Skulpturen am ehesten aus diesem Fundus heraus.“

Zitat: Christa Lichtenstern

Annemarie Avramidis hat die österreichische Kunst in den vergangenen fünf Jahrzehnten wesentlich beschenkt und bereichert. Wie sie mit ihren Steinen und Bronzen das Thema der Figur hochhält, welche Dimensionen sie in ihren fulminanten Zeichnungen eröffnet und welche Sprache sie in ihren Dichtungen wagt – von all dem gewährt die verdienstvolle Ausstellung Wolfgang Thomeczeks einen ausgewogenen Einblick.

Die Kunst von Annemarie Avramidis entzieht sich der schnellen Blicke. Sie ist etwas für Kenner und damit für solche, die sich für die Geschichte der Skulptur interessieren. Ihre Menschenbilder erschließen sich in ihrer Eigenart erst dem, der sie im Umkreis ihrer Vorbilder wahrzunehmen und darin ihre Eigenart zu entdecken vermag. Ihre Doppelbegabung für die plastische Gestalt wie für das Wort zeitigt bei ihr letztlich poetische Lösungen für die Skulptur und Plastik und Klarheit für die dichterische Wortschöpfung.

Künstlerischer Werdegang

Schon die Anfänge von Annemarie Avramidis geraten erstaunlich sicher. Mit siebzehn Jahren besucht sie 1956 in Salzburg die „Schule des Sehens“, auch „Sommerakademie für bildende Kunst“ genannt, die Oskar Kokoschka in den Jahren 1953 bis 1963 mit Glanz und Gloria (und unverstellten Hieben auf die Abstraktion) leitete. Bei Kokoschka übt sich Annemarie Avramidis im schnellen Aktzeichnen. Ihr Lehrer ist von ihrem Können beeindruckt und bescheinigt ihr im Zertifikat in seiner markigen Art: „vielversprechend trotz Jugend“.

Dass es die so Gelobte in der Folgezeit zu Fritz Wotruba (1907-1975) nach Wien zieht, dürfte kaum seiner Empfehlung entsprochen haben. Den Kollegen betreffend, nahm Kokoschka kein Blatt vor den Mund.

So schrieb er im Vorfeld der Salzburger Akademie-Gründung an den umtriebigen Organisator und Kunsthändler Friedrich Welz am 4.12. 1952: „...ich will auf keinen Fall Leute wie Wotruba bei mir haben, die aus äußerlichen Gründen in oberflächlicher Weise Zeitmoden wie Kubismus etc. mitmachen, die sich damit vor mir und den Schülern als untaugliche Lehrer qualifizierten.“

Kokoschkas Zeilen verdeutlichen, wie schwer es Wotruba, auf den die junge Annemarie Avramidis unbeirrbar Kurs hielt, während seines akademischen Neuanfangs in Wien nach dem Krieg gehabt haben muss. Als die Künstlerin endlich 1958 in seine Steinklasse eintreten konnte und bald zur Meisterschülerin aufrückte, hatte sich sein kubisch-abstrahierendes Spätwerk aus Säulen und Pfeilerfiguren bei internationaler Ausstellungstätigkeit voll entwickelt. Wotruba vertrat die Moderne schlechthin. Mit gewisser Berechtigung lässt sich von diesem Bildhauer sagen, dass er nach dem 2. Weltkrieg für Österreich eine vergleichbare Bedeutung wie Henry Moore für England besaß: er war die Instanz in der österreichischen Nachkriegsskulptur und sollte es als solche noch lange über seinen Tod hinaus bleiben. Bei ihm und im Umkreis seiner ausgesuchten, sehr guten Schüler, allen voran ihr späterer Mann, Joannis Avramidis, trat die noch nicht 20Jährige in einen akademischen Schutzraum besonderer Art. Zu seiner Lehrmethode schrieb Wotruba: „Die Führung sollte zwanglos und elastisch sein, sie muss Rücksicht auf das Individuum nehmen.“ An dieses gilt es, die eigene „Freiheit (...) weiterzugeben“.

Bei Wotruba zählte im Blick auf die griechische Archaik, Michelangelo, die Manieristen, Maillol, Brancusi und Lehmbruck nur eins: das ernste Bekenntnis zur Figur, zum Maß, zur Bezüglichkeit von Teil und Ganzem, zum hohen Ausdrucksgehalt des Werkstoffs und seiner spezifischen Materialgerechtigkeit, zur Inspiration und schließlich zu dem, was er „die Befruchtung durch das Einmalige“ nannte. Alle Lehre ging bei ihm durch sein persönliches menschliches Vorbild, sprich durch seinen starken Charakter, durch seine Aufrichtigkeit und durch seine gelebte Erfahrung, die er während der Schweizer Emigration als homo politicus durchzustehen hatte.

Christa Lichtenstern

Annemarie Avramidis in ihrem Atelier in Wien, 1990

MEINE AUGEN –

SIND ERGRIFFEN –

MÄCHTIGE SCHÖNHEIT –

LEBT – SONNENUMHAUCHT

WIE EIN GOTT –

IN DEM STEIN –

APHRODITE –

Akt, Rötelzeichnung, 1983, 33 x 27 cm

IM SCHLAF DER KINDER

TRÄUM ICH

NOCH EINMAL DIE WEGE ZURÜCK –

UND HEBE DIE HAND

DIE SCHWERE

ZU TEILEN DIE SCHATTEN

DIE SIND –

WIE WIRD WOHL DER WIND IN SUNION STREIFEN, DAS GELBE GRAS –

DAS MIR WAR SO HEIMAT –

SO WARM –

Kopf, Selbstbildnis, 1992, Marmor, Länge 25,5 cm

Werke von Annemarie Avramidis

MORGENROT BEDECKT

SINGT MIR DIE ERDE,

SO DUNKLE NACHT

ZIEHT SICH ZURÜCK

IM FLÜGELSCHLAG –

DIE STEINE SIND VON TAU BENETZT, SO SCHWERER DUFT

UMFÄNGT MICH VON DEN WIESEN –

Paar, 1997, Marmor, Höhe 32 cm

AUS DEM UNBESTIMMTEN

HABE ICH SIE GELÖST – DIE STATUE –

DEM WIND UND REGEN AUSGESETZT –

DER SONNE UNTERWORFEN –

UND ICH STEHE ALS EINER –

„DEM DAS LICHT DES SCHAFFENDEN ANLIEGT –

GLEICHSAM ALS EINE GESTALT.“*


  1. *„Dem das Licht des Schaffenden anliegt,

gleichsam als eine Gestalt.“ (Ezra Pound)

Spartacus, 1989, Marmor, Höhe 145 cm

IMMER – NAHE AM BRUCH –

ZITTERT EIN LICHT

ÜBER DAS WASSER –

SINGEN NYMPHEN

ODER KINDER

EIN LIED –

DAS WIR ERWARTEN –

La Liberté, 1975-1985, Marmor, Höhe 132,5 cm

Kniende, 1989, Rötelzeichnung, 40 x 30 cm

Akt, 2000, Rötelzeichnung, 40 x 30 cm

OH’ WUNDERBARE ZEIT – DA NOCH DAS LICHT DER SONNE – AUF UNS LIEGT – DOCH – SCHON WARTEN, WIRBEL DER NACHT –

ÜBER OZEANTIEFEN –

UND ES GEHT – EINE FREMDE GESTALT

Männlicher Torso, 1979, Bronze, Länge 40 cm

Studie eines Heiligen aus St. Stephan, 1994, Tuschstift, 24 x 18 cm

Der Abend, 1995, Tuschstift, 30 x 40 cm

Studie, 2002, Tuschstift, 31,5 x 38 cm

Kleiner Torso, 1979, aus rosa Stein (Marmor), Höhe 32 cm

Männlicher Torso, 1983, Marmor, Höhe 36 cm

IN DEN SINGENDEN GÄRTEN

DER LIEBE

WACHSEN DIE BLUMEN HERAN – VERSCHLOSSENER HÜTER –

DER WANDERT IM SCHWEIGEN –

UND ES VERLIERT SICH SEIN BILD UNTER DEM HALBEN MOND –

Hommage à Fritz Wotruba, 1974, Bronze, Höhe 19 cm